Dienstag, 14. September 2021
In Mata Mata tanke ich auf und besorge noch Wasser und Feuerholz. Zunächst beobachte ich eine Familie von Erdhörnchen auf der Futtersuche. Und unweit davon sitzen Greifvögel in den Bäumen. Auf dem weiteren Weg Richtung Süden stelle ich mich um die Mittagszeit unter einen großen, Schatten spendenden Baum am Bohrloch Nummer 14. Außer ein paar Tauben sehe ich dort allerdings nichts. Also lese ich ein bisschen und nicke dabei ein.
Am Nachmittag tut sich am Wasserloch noch immer nichts. Wahrscheinlich ist es einfach zu warm. Dann breche ich auf nach Nossob über die nördlichere der beiden Dünenpisten. Die gute Piste schlängelt sich durch die mit Gras und niedrigen Büschen bewachsene Dünenlandschaft. Immer wieder führt sie über die Dünenkämme. Auf der ganzen Strecke sehe ich erwartungsgemäß nur sehr wenige Tiere, die sich bevorzugt in der Nähe der Trockenflussläufe aufhalten. Ein paar Oryx-Antilopen und Vögel. Am auffälligsten ist aber eine große gelbe Pistenraupe ;-). Mit ihrer Hilfe versucht man, das Wellblech auf der Piste zu entfernen beziehungsweise zu glätten.
Schließlich erklimme ich den letzten hohen Dünenkamm vor dem Flussbett des Nossob und bleibe stehen. Von hier oben hat man einen wunderbar weiten Blick über das Bett des Trockenflusses und die gegenüberliegende botswanische Seite der Kalahari. Unten im Tal kann man die quer zur Dünenpiste und entlang des Flussbettes verlaufende Hauptpiste nach Nossob sehen. Es dauert einen Moment, aber dann überkommt mich das Entsetzen. Die gesamte Landschaft jenseits der Hauptpiste ist komplett verbrannt. Alles ist schwarz. Keine unverbrannten Stellen. Die Bäume im Flussbett sind völlig heruntergebrannt. Nur der tiefrote Sand liefert noch etwas Farbe in das triste Bild. Auf der botswanischen Seite hat wirklich alles in Sichtweite bis zum Horizont gebrannt. Noch steigen an einigen Stellen Rauchschwaden aus der Ebene auf. Scheinbar hat nur die Sandpiste das Übergreifen der Flammen auf die südafrikanische Seite verhindert.
Ich verlasse diesen tristen Ort. Es sind noch 50 km nach Norden bis zum Camp Nossob. An der ein oder anderen Stelle hat das Feuer doch die Piste übersprungen. Und so hat auch der links neben der Piste liegende Busch Schaden genommen. Nach einigen Kilometern erscheint erstmals auf botswanischer Seite ein Fleck von unverbranntem Busch. Zum Glück bleibt es nicht bei einem, und die Brandflecken werden kleiner und unverbrannter Busch kommt immer mehr durch. Erst bei Nossob wird es wieder schlimmer.
Mittwoch, 15. September 2021
Die Übernachtung heute Abend im 160 km entfernten Two Rivers Camp war nicht gerade meine erste Wahl. Denn Nossob, von wo ich heute aufbreche, ist für mein morgiges Vorhaben optimal gelegen, denn der Zugang zur Bosobogolo 4x4 Access Route liegt hier. Also werde ich morgen die 160 km wieder zurückfahren müssen. Sie addieren sich dann auf mein morgiges Tagessoll, das es aufgrund der bevorstehenden Strecke bereits ziemlich in sich hat. Aber der Park ist derzeit vor allem von südafrikanischen Touristen sehr stark frequentiert und entsprechend ausgebucht.
Ich mache mich also auf den Weg nach Süden und nehme dabei den Umweg über das Marie se Gat Wasserloch. Entlang der Piste sehe ich viele Mäuse und einige Schlangen, die sich vor dem heran nahenden Auto in das Gras neben der Piste retten.
Entlang der Strecke hat es noch viel mehr gebrannt, als das gestern erkennbar war. Unter anderem ein 40 km breiter Streifen in der Umgebung der gestern genutzten Einmündung der nördlichen Dünenpiste. Noch immer raucht es an vielen Brandherden. Gegen Abend sehe ich an der Piste leider mehrere tote Tiere, die von Autos angefahren wurden: zwei Schakale, ein Löffelhund und zwei Erdhörnchen.
Das botswanische Camp von Two Rivers, dessen Rezeption natürlich nicht besetzt ist, ist schön und sehr großzügig angelegt. Eigentlich wäre es ein tolles Camp, wenn denn die Einrichtungen im kleinen Waschblock gewartet werden würden. Aber im jetzigen Zustand ist das Betreten nur auf eigene Gefahr möglich.
Donnerstag, 16. September 2021
Kurz vor Sonnenaufgang bekomme ich Besuch von einer kleinen Familie von fünf Mangusten. Sie sind ungeheuer neugierig, aber gleichzeitig auch sehr vorsichtig. Erst nach ein paar Minuten trauen sie sich näher an mich heran. Und kurz darauf gehen sie ihren üblichen morgendlichen Ritualen nach.
Ich fahre sehr früh in Two Rivers los. Die Rezeption des Campingplatzes ist wieder nicht besetzt. Also gehe ich zum Parkeingang. Dort frage ich wegen der sonst üblichen täglichen Registrierung. Aber auf botswanischer Seite sieht man das wohl recht gelassen, und ich kann einfach so losfahren. Die flotte Fahrt mit durchschnittlich 40 km/h bringt mich gut voran. Allerdings ist dabei an spezielle Tiersichtungen oder gar Tierbeobachtungen nicht wirklich zu denken. Direkt vor Nossob sehe ich dann mitten auf der Piste eine Manguste wild hin und her hüpfen. Erst beim Näherkommen erkenne ich, dass sie mit einer braunen, circa zwei Meter langen Schlange kämpft. Die beiden bemerken mich gar nicht, aber der Kampf verschiebt sich langsam in den Busch und kurz darauf sind die beiden nicht mehr zu sehen. Ich bekomme also nicht mit, wie der Kampf am Ende ausgegangen ist.
Um dreiviertel zwölf erreiche ich Nossob, wo nochmal ganz vollgetankt wird. Die dortige Tankstelle hat zwei große unterirdische Tanks für jeweils 9.000 l Diesel. Mein Auftanken verbraucht gut 1% des maximal verfügbaren Treibstoffs. Nicht gerade beruhigend angesichts der Anzahl an Autos im südafrikanischen Teil des Parks, der bevorstehenden Strecken und der Tatsache, dass ein voller Tank lebensrettend sein kann. Abgesehen von der Reichweite im schwersten Gelände, kann es bei einem Zwischenfall schnell dazu kommen, dass ich einige Tage in der Wildnis strande. Der Motor liefert dann zur Not nicht nur eine warme Fahrerkabine, sondern auch elektrische Energie für die Akkus der Beleuchtung, das SOS-Notsignal des GPS-Geräts, den Kühlschrank, die Kamera und den Laptop.
Kurz nach 12 Uhr fahre ich wieder aus Nossob los Richtung Norden. Nach circa zwei Kilometern zweigt der 170 km lange und stark reglementierte Bosongbogolo 4 x 4 Trail von der Hauptpiste ab tief hinein nach Botswana Richtung Mabuasehube Gate. Jetzt beginnt wirklich das große Abenteuer Kalahari. Kurz nach dem Abzweig fahre ich durch eine extreme Staubstelle. Das Auto ist plötzlich von einer dicken Staubwolke eingehüllt. Ich kann absolut nichts mehr sehen. Der Innenraum füllt sich schlagartig mit Staub. Die Scheiben sind komplett voll. Der Staub rinnt wie Wasser die Windschutzscheibe hinunter. Ich muss stehen bleiben.
Zum Glück bleibt dies die einzige Staubstelle der ganzen Strecke. Die Piste ist stark verwildert und sehr wenig befahren. Sie besteht aus heftigen Sandstellen und beinhaltet vor allem am Anfang schwere Dünenpassagen. Es ist so geil und macht wirklich Spaß. Rony meistert das alles mit der stoischen Gelassenheit eines starken V8 Dieselaggregats. Ich muss nur einmal das Untersetzungsgetriebe zuschalten. Circa 20 km nach dem Abzweig ist der Busch plötzlich komplett verbrannt. Ähnlich wie bei Polentswa. Großflächig verkohlter Busch. Aber das Feuer muss bereits einige Tage her sein, denn die verkohlten Grashalme sind nicht mehr an Ort und Stelle. Sie wurden vom Winde verweht. Überall liegen die entsprechenden schwarzen Häufchen an allen möglichen Hindernissen. Auch hier gibt es überall Brandstellen mit weißer Asche, dort wo Bäume sehr langsam verglühten. Ähnlich wie die Überreste eines Grillfeuers. Und überall dieser permanente dumpfe Brandgeruch. Immerhin ist er nicht mehr so beißend wie kurz nach einem Brand. Die entsprechenden chemischen Verbindungen sind wohl relativ flüchtig.
Am Anfang sehe ich einige Mangusten. Eine Oryx liegt im Schatten eines abgebrannten Busches. Aber je weiter ich in den verkohlten Busch vordringe, desto weniger Tiere sind zu finden. Eigentlich nur ganz vereinzelt ein Steenbock oder eine Oryx. Ansonsten fast nur noch Vögel, Insekten und kleine Säugetiere. Ich komme zum Glück gut voran, denn vom Abzweig bis zu meinem Übernachtungsplatz sind es fast 100 km dieser schweren Piste. Und Sonnenuntergang ist heute kurz nach sechs Uhr.
Die Strecke wird zunehmend einfacher, da der Sand immer fester wird. Leider führt das aber auch zu einem immer unangenehmeren Wellblech. Im Schatten eines großen Baumes mache ich eine kleine Mittagspause. Zwei Erdmännchen huschen in der Nähe vorbei. Eigentlich könnte ich hier gut und gerne noch einige Zeit stehen bleiben. Aber die Zeit drängt leider doch sehr. Im Grunde wäre eine Ankunft in der Dunkelheit nicht wirklich ein Problem. Schließlich ist hier sonst niemand, den das stören könnte. Aber in dieser einsamen Wildnis ist es mir doch lieber, wenn ich meine Schlafvorbereitung nicht in totaler Dunkelheit treffen müsste. Ich fahre also weiter.
Und dann sehe ich, nach knapp der halben Strecke, in einiger Entfernung wieder Rauchwolken. Sie werden dicker je näher ich komme. Die verursachenden Feuer liegen natürlich wieder direkt auf meiner Route. Ich gelange zu der Brandstelle. Es sind zwei jeweils etwa 100 m breite Buschfeuer. Das erste überwindet gerade einen Dünenkamm. Zum Glück ist es nicht sehr windig, so dass die Flammen eher klein sind. Ich muss insgesamt dreimal durch Feuer fahren. Eines ist noch klein und nur auf einer Seite der Piste. Wenn es nicht windig ist, dann scheinen bereits zwei Spuren im Busch eine gewisse Barriere für das Feuer zu bilden. Und erst recht die breiten Hauptpisten im Park. Hier in der botswanischen Einsamkeit bleiben die Buschbrände oft unbemerkt. Es gibt hier keine Ranger, die vorbeikommen, und Luftaufklärung sowieso nicht. Ansonsten würde man hier, wie im stärker überwachten südafrikanischen Teil, Feuerschneisen mit künstlichen Feuern legen, deren Ausbreitung man mit Hilfe von Ventilatoren kontrollieren würde.
Nach einer langen, aufregenden und phantastischen Fahrt durch den unberührten Busch gelange ich schließlich nach Matopi. Es sind zwei Plätze, die etwa in der Mitte des 170 km langen Bosongbogolo 4 x 4 Trails liegen. Matopi 1 und Matopi 2 liegen 11 km auseinander und können jeweils nur von einer Gruppe gebucht werden. Heute ist nur Matopi 1 von mir belegt, Matopi 2 bleibt frei. Aufgrund der starken Reglementierung ist auf jedem Campingplatz nur eine einzige Übernachtung erlaubt. Der botswanische Teil des Kgalagadi Transfrontier Parks, immerhin 28.000 km² groß und damit größer als Oberbayern und Schwaben zusammengenommen, liegt aufgrund der Wasserknappheit bereits in einer eher dünn besiedelten Region Afrikas. Die Mabuasehube Region, zu der der Bosobogolo Trail führt, gehört mit Sicherheit zu den einsamsten Regionen in Afrika. Laut den aktuellen Parkunterlagen befinden sich dieser Tage nur insgesamt drei Fahrzeuge in diesem gewaltigen Gebiet. Die Gegend ist wirklich fast menschenleer.
Der Campingplatz Matopi besteht aus einem großen Baum und einem durch Autospuren freigeräumten Platz darunter. Es gibt kein Wasser und keine Abfallbehälter. In einiger Entfernung steht ein winziges Häuschen in der Größe einer Dixie-Toilette. Darin leben Eulen. Im Inneren ein tiefes Loch, eine sogenannte Long Drop Toilette, und unvorstellbarer Dreck und Gestank. Der Platz wird nicht von Angestellten des Parks gepflegt oder gewartet. Das ist Aufgabe der wenigen Gäste, und wie sehr sie ihrer Aufgabe wirklich nachkommen, kann man eben auch hier sehen. Darüberhinaus gibt es leider zu viele Idioten, die ihren Müll hier einfach wegwerfen statt ihn einzupacken und in den großen Camps zu entsorgen.
Hier in Matopi herrscht absolute Wildnis, der Platz befindet sich mitten im Busch. Es gibt keine Zäune oder Absperrungen oder ähnliches. Wilde Tiere können jederzeit auftauchen, und sie kommen und gehen tags wie nachts. Auch Raubtiere oder andere gefährliche Zeitgenossen. Ähnlich wie am Linyanti oder in Savuti erfordert es viel Zeitaufwand, hier alleine zu campen, da man sich immer auch nochmal vergewissern muss, dass nicht von hinten etwas heranschleicht. Das ist schon wirklich ein sehr heftiges und durchaus gefährliches Abenteuer in dem Sinne, dass es sehr wohl auch schief gehen kann. Aber ich finde es super.
Freitag, 17. September 2021
Der Mond war diese Nacht im letzten Drittel und ermöglichte mir so ein klein wenig Sicht in der Nacht. Es gab keinen Wind, und die Temperatur fiel unter 10 °C. Die Nacht verlief relativ unruhig, weil mich eine Schar von vielleicht zehn Eulen immer wieder geweckt hat. Während der ganzen Nacht sind sie auf meinem Auto herumgetobt, sind immer wieder recht laut auf der Motorhaube herumgelaufen und haben gegen die Scheiben gepickt. Besonderes Interesse hatten sie an den Scheibenwischern.
Nachdem ich gestern recht frühen zu Bett gegangen bin, stehe ich bereits mit der Morgendämmerung auf. Die Eulen sind verschwunden. Der Sonnenaufgang ist wunderschön. Er geht relativ schnell von statten und ist nicht ganz so farbenprächtig wie der gestrige Sonnenuntergang.
Nach einem einfachen Frühstück bleibe ich noch einige Zeit hier, beobachte den Busch und betrachte die verschiedenen Pflanzen in der unmittelbaren Umgebung aus der Nähe. Die Gegend um das Camp ist nicht verbrannt. Sie liegt nicht weit von einer größeren Lehmpfanne entfernt, die wahrscheinlich durch reinen Zufall die Buschfeuer abgehalten oder abgelenkt hat.
Gegen zehn Uhr breche ich dann zur 76 km weiter östlich gelegenen Bosobogolo Pan am Ende des Trails auf. Wie schon gestern ist die Piste aufgrund des Wellblechs relativ schlecht und wenig befahren. Aber die Fahrt läuft sehr gut. Das Gelände ist weiterhin die ganze Strecke entlang bis kurz vor der Bosobogolo Pfanne verbannt, jeweils nur mit Ausnahme von kleinen unbetroffenen Gebieten und Stellen. Erst in der Mabuasehube Region, zu der die Bosobogolo Pfanne gehört, ist der Busch vom Feuer nicht betroffen und unverbrannt. Nach etwa Dreivierteln der heutigen Strecke sehe ich neben der Piste ein völlig ausgebranntes Auto. Der Startpunkt der Buschfeuer lag laut Rangern möglicherweise und vermutlich in dieser Gegend. Ob das Auto Opfer der Buschfeuer wurde oder das Auto die Feuer ausgelöst hat, ist nicht zu erkennen. Die Mehrheit der Buschfeuer in dieser Region sind allerdings tatsächlich natürlichen Ursprungs.
Von der gesamten gestrigen und heutigen Strecke sind insgesamt 150 km verbrannt. Demnach muss die im Park zerstörte Fläche weit größer sein als angenommen. Damit dürfte grob und sehr vorsichtig geschätzt eine Fläche von weit mehr als 5.000 km² abgebrannt sein, das sind eine halbe Million Hektar.
Da ich relativ früh dran bin, mache ich noch eine große Runde zu den verschiedenen Pfannen in der Mabuasehube Gegend. Zunächst geht es über eine extrem schwere Piste aus tiefem Sand zur Monamodi Pan, dann weiter über steiniges Gelände zur Lesholoago Pan und schließlich wieder in tief rotem Sand zur dem Areal namengebenden Mabuasehube Pan. Die Vegetation hier bildet ganz typischen afrikanischen Vorzeigebusch. Gelbes langes Gras, eine Menge Büsche und wenige Bäume, vor allem Akazien und Schirmakazien. Ich sehe vor allem kleinere Tiere, viele Mäuse, einige Mangusten, Erdhörnchen und diverse Vögel. Da die Strecke wunderschön hügelig ist, kann ich die Pfannen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Vor allem der Blick von den Anhöhen ist sehr beeindruckend.
Ich übernachte auf einem Campingplatz ganz in der Nahe des Mabuasehube Entrance Gates. Ich bin erneut der einzige Gast. Schon den ganzen Tag über habe ich kein einziges Auto getroffen. Auch in der Mabuasehube Gegend nicht ein einziges Auto. Aber außerhalb des Parks direkt am Gate wohnt die vielköpfige Großfamilie des hiesigen Parkangestellten und Wildhüters. Hier im Camp gibt es immerhin einen Toilettenblock. Aber meine Freude darüber schwindet Sekunden, nachdem ich das Innere gesehen habe. Es sieht desolat aus. Die Einrichtung wird nicht gewartet. Es gibt kein Wasser, und die Toiletten sind in einem entsprechend grausamen Zustand. So ist das Innere unzumutbar und grenzt fast schon an Körperverletzung.
Ich mache ein schönes Lagerfeuer und genieße erneut den wunderbaren Sonnenuntergang.
Samstag, 18. September 2021
Es geht kaum Wind in der Nacht, und sie ist nicht so kalt wie die letzten. Das war meine vorletzte Nacht im Dachzelt. Zunächst fahre ich sehr gemütlich bis zur Bosobogolo Pfanne zurück. Die Landschaft ist unheimlich schöne Savanne mit goldgelbem Gras, niedrigen Büschen und einigen Bäumen. Sie hat etwas archaisches, beruhigendes und friedliches an sich. Ich fühle mich hier wirklich wohl, wie wenn man sich an die urzeitliche Heimat des Menschen im südlichen Afrika erinnern würde, bevor unsere Vorfahren in großen Wanderbewegungen den Kontinent verlassen haben. Vielleicht ist es aber auch nur das goldgelbe Gras, das sich leicht und beruhigend im Wind bewegt.
Und doch trügt der Schein leider sehr. Die Kalahari ist eine sehr gefährliche Gegend, weil sie mit den Jahren und Jahreszeiten deutlichen und schnellen Veränderungen unterworfen ist. So kann sie nach einem Regen grün, fruchtbar und einladend erscheinen. Aber bereits wenige Tage später ist sie goldgelb, braun und dürr. Und die Gegend ist leider auch nicht so friedlich, denn die Tiere und Pflanzen führen in dieser Region einen permanenten und sehr harten Überlebenskampf. Tiere gegen Tiere, Pflanzen gegen Pflanzen, Tiere gegen Pflanzen und selbst Pflanzen gegen Tiere. Die genutzten Waffen und Tricks stehen den menschlichen Kriegswaffen an Hinterhältigkeit und Genialität in nichts nach. Auch hier gibt es Dolche, Projektile, Gifte und natürlich chemische Kampfstoffe.
Ein Aufenthalt in dieser Region ohne die Hilfsmittel unserer modernen Technik wäre für uns lebensbedrohlich. Da in der Region jegliches Oberflächenwasser fehlt, sind die umfangreichen Wasserreserven im Auto unverzichtbar. Ohne diese gäbe es nur noch ganz wenige pflanzliche Wasserspeicher, die man allerdings nur mit entsprechendem Wissen und Werkzeugen finden und nutzen kann. Schon bei der notwendigen großräumigen Suche danach würden wir uns bei der Selbstverteidigung recht schwer tun. Schließlich sind die Gefahren und unsere Gegner sehr vielgestaltig und unterschiedlich.
Auf meiner Route sehe ich kaum Tiere. Eine neugierige Manguste steht am rechten Straßenrand. Sie rennt nicht vor dem Auto weg, sondern beobachtet gespannt, wie das Auto immer näher rollt. Wann immer sie in Habachtstellung geht, bleibe ich stehen. Dann löst sich ihre Spannung und die Manguste beobachtet gelassen weiter. Dann kann ich wieder ein Stückchen näher rollen bis zum nächsten Zyklus. So komme ich dem Tier erstaunlich nahe und kann sogar daran vorbeifahren, ohne dass sie wegläuft. Wenig später sehe ich einen kleinen Steenbock. Er ist weit scheuer und läuft immer wieder ein Stückchen weiter weg, obwohl ich das Auto nicht bewege. Bei ihm ist es allerdings keine Neugierde, sondern ein Teil des Fluchtverhaltens - immer wieder Erstarren und Tot spielen.
Die Fahrt ist lange. Die heutige Strecke zurück nach Nossob ist 185 km lang. Es ist fast ausschließlich Sandpiste, die eigentlich sehr schön zu befahren wäre. Allerdings hat dieses Exemplar schon ziemlich heftiges Wellblech. Das entsteht, wenn Leute mit zu hohem Reifendruck, zu schnell oder mit mangelhaft gewarteten Autos darüber fahren. Die Stoßdämpfer fangen schon einige der Bodenwellen ab, aber nur, wenn ich die richtige Geschwindigkeit treffe. Ansonsten holpert der Wagen sehr, und alles Lose klappert und scheppert. Das macht die ganze Fahrt eher unruhig.
Rony und ich kommen am späten Nachmittag wohlbehalten wieder auf der Hauptpiste des Parks an. Ab hier bestehen bei einem technischen Problem oder Unfall gute Chancen, dass innerhalb eines Tages jemand vorbeikommt und Hilfe leistet oder Hilfe in den Camps organisiert. Mobilfunkempfang gibt es im gesamten Park nicht. Und der von den drei großen Hauptcamps zur Verfügung gestellte WLAN-Empfang, der über einen Satelliten-Uplink mit dem Internet verbunden ist, ist grausam schlecht. Laufend bricht die Verbindung ab.
Dennoch erreicht mich heute Abend die Nachricht vom Tod meiner Mutter vorletzte Nacht. Ich entscheide, dass ich meine Expedition für ein paar Tage unterbrechen werde und für die Beerdigung nach Deutschland zurückkomme. Die Unterbringung von Rony in Johannesburg ist zum Glück schnell geklärt. Jetzt muss ich hier noch irgendwie kurzfristig Flüge organisieren. Mal sehen.
Sonntag, 19. September 2021
Heute morgen, nachdem die meisten Besucher das Camp Nossob verlassen haben, war die Kommunikationsverbindung in die Außenwelt einigermaßen stabil, so dass ich meine Flüge von Johannesburg über Frankfurt nach München für Mittwoch Abend buchen konnte. Auch die Buchungen für die Unterkünfte der kommenden Tage konnte ich entsprechend anpassen beziehungsweise stornieren.
Gegen zehn Uhr fahre ich zunächst nach Süden entlang der Maria Se Gat Route und vollende die Schleife entlang der parallel verlaufenden Hauptpiste nach Norden zurück nach Nossob schließlich gegen ein Uhr. Dann breche ich zur 50 km langen Fahrt nach Bitterpan auf. Die Fahrt an sich ist perfektes Offroad, und die eben laufende Musik paßt perfekt. Aber dann schweifen die Gedanken ab, und aus irgendeinem Grund oder vielleicht aus einem Instinkt heraus skizziere ich im Kopf eine Trauerrede. Sie ist ungewöhnlich und voller Abenteuer und spannt inhaltlich einen gewaltigen Bogen. Aber ich verwerfe die Ideen, weil - ach - keine Ahnung. Dann bleibe ich irgendwo auf der Strecke stehen. Rony tuckert leise vor sich hin. Ich steige aus, setze mich auf die Frontstoßstange und genieße die unheimliche Weite und Schönheit der Landschaft. Dann überkommt es mich doch, und ich vergieße ein paar Tränen in den roten Sand der Kalahari.
Die wunderschöne Dünenstrecke führt zunächst in westlicher Richtung über viele fantastische Dünenkämme, biegt dann nach Süden in ein Dünental und führt einige Kilometer am Talboden entlang. Schließlich biegt die Strecke erneut in westlicher Richtung ab und führt über mehrere Dünen bis zum wunderschön gelegenen und sehr einsamen Wilderness Camp Bitterpan. Es liegt an einer Salzpfanne, die vielleicht einen Kilometer im Durchmesser misst. Dort gibt es vier Zelte für jeweils zwei Personen auf einer Stelzenkonstruktion sowie einen Gemeinschaftsbereich mit kleiner Küche. Dazu eine ebenerdige Veranda mit Feuerstelle. Das Camp ist nicht eingezäunt, und nachts kommen verschiedene Buschbewohner zu Besuch. Manchmal liegen Tiere auf der Pfanne und lecken die Mineralien vom Boden.
Es sind nur zwei weitere Zelte besetzt. Zwei ältere südafrikanische Ehepaare, deren Kinder allesamt Südafrika aufgrund der neuen Rassengesetze im Zusammenhang mit Arbeitsplätzen verlassen mussten. Die meisten wandern nach Australien, Kanada oder Großbritannien aus, wo sie gern gesehene Arbeitskräfte sind. Erneut ein wunderschöner Sonnenuntergang. Wir machen Braai. Im Laufe des Abends ergeben sich mal wieder hochinteressante Gespräche zum Zustand der Welt und zur Zukunft von Afrika. Alle Fünf kommen wir aus sehr unterschiedlichen Fachbereichen, was der Diskussion eine besondere Tiefe und Würze verleiht. Die Gespräche sind wirklich intensiv, und doch stimmen wir mit unseren Beobachtungen und den daraus gefolgerten Prognosen erstaunlich gut überein. Das wirklich Erschreckende für mich ist allerdings, dass die Länder des südlichen Afrikas einen Blick in unsere eigene nahe und sogar ferne Zukunft erlauben. Denn sie zeigen mir, wie in einer Art Zeitraffer, in welcher Form und mit welchen Anzeichen Infrastruktur, die industrielle Basis, Bildungssysteme und soziale Strukturen in die Knie gehen und schließlich zerfallen. Auch wie Naturräume durch die bloße Anwesenheit von zu vielen Menschen massiv Schaden nehmen. Vielleicht werde ich zu diesem Themenkomplex mal einen ganz eigenen Blogeintrag schreiben.
Ich wurde eingeladen, und der Braai heute Abend ist wirklich super lecker. Sobald die Sonne untergegangen ist, beginnt ein interessantes Konzert bestehend aus einzelnen lauten Rufen aus allen möglichen Richtungen. Zunächst hört es sich an wie von Vögeln. Aber in Wirklichkeit sind das Geckos. Sie heißen Barking Geckos, bellende Geckos. Sind klein und schwer zu entdecken, denn sie sitzen in Erdlöchern und nur ein Teil ihres Kopfes schaut heraus. Es rufen nur die Männchen. Die Erdlöcher erfüllen allerdings eine wichtige Funktion. Sie verstärken die Lautstärke der Rufe erheblich.
Montag, 20. September 2021
Die heutige Fahrt geht zurück nach Twee Rivieren. Die letzte schwere, aber wunderschöne Sandstrecke auf dieser Expedition über die Dünen der Kalahari hat Rony erneut super gemeistert. Ich lasse mir für die Strecke sehr viel Zeit. Ich sehe nur vereinzelt kleinere Tiere, Erdmännchen, Mangusten, Steinböckchen. Schließlich erreiche ich das Camp und kann noch einen letzten Campplatz ergattern. Die heutige Nacht ist die letzte Nacht im Dachzelt.
Ich stelle fest, dass mein Server daheim nicht mehr erreichbar ist. Der Zugriff auf meine Dokumente und eMails ist entsprechend nicht mehr möglich. Wohl ein Stromausfall, der für das Notstromaggregat zu lange gedauert hat. Ich hoffe nur, dass es kein Hardwareproblem aufgrund eines Blitzeinschlages oder so etwas Ähnliches ist. Welch ein Zufall, dass das gerade jetzt passiert, wo ich doch am Donnerstag persönlich nachsehen kann.
| Vorhergehender Beitrag | Übersicht | Nächster Beitrag |