Auf dieser Seite werde ich einen groben Abriss der wichtigsten Geschehnisse im letzten Jahrhundert in Indochina zusammentragen, so wie sie sich mir persönlich darstellen. Ich werde entsprechend meinem Reiseverlauf mit Vietnam beginnen und mit dem Reisefortschritt weitere und neue Informationen und Zusammenhänge über die anderen Länder und Orte ergänzen.
Es sei angemerkt, daß die realen Zusammenhänge sehr viel komplexer waren und sind als hier dargestellt. Dazu waren einfach zu viele Länder, Parteien, Organisationen und Personen jeweils mit ganz eigenen Interessen involviert. Zum Beispiel waren in den grob dreißig Jahren mehrere US-Präsidenten und französische Staatschefs betroffen. Und unzählige Berater, Militärstrategen, Beamten, Lobbyisten, Geheimdienstagenten, Firmenvertreter und Militärangehörige waren in viele Aktionen, Absprachen, Geschäfte, Geheimoperationen und Kämpfe involviert. Und alle hatten immer auch irgendwie eigene Pläne und Ziele oder mussten eine Daseinsberechtigung liefern.
Wer sich mehr für Indochina interessiert, dem lege ich das hervorragende Sachbuch "Der Tod im Reisfeld - Dreißig Jahre Krieg in Indochina" von Peter Scholl-Latour ans Herz. Auch diverse offizielle, inzwischen freigegebene Berichte und Dokumente sind überaus interessant. Außerdem empfehle ich den persönlichen Besuch der vielen verschiedenen Schlachtfelder und Gedenkstätten vor Ort, insbesondere solange noch einige Zeitzeugen am Leben sind.
Kolonialzeit
Der Begriff Indochina wurde erstmals 1810 verwendet und beschreibt die Festlandgebiete Südostasiens, südlich von China und östlich des indischen Subkontinents. Damit sollte der prägende kulturelle Einfluss Vorderindiens und des Kaiserreichs Chinas auf die Völker und Länder des kontinentalen Südostasiens ausgedrückt werden. Indochina umfasste die Gebiete der heutigen Länder Laos, Kambodscha und Vietnam, die ab 1887 als Französisch-Indochina, dem französischen Kolonialreich eingegliedert waren.
In den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts wuchs der Widerstand gegen die französischen Kolonialherren. Als Frankreich im Zweiten Weltkrieg von Deutschland überfallen und besiegt wurde, wird 1941 unter der Führung von Hồ Chí Minh (1890 - 1969) aus verschiedenen Gruppierungen die Việt Minh (vollständig Việt Nam Ðộc Lập Ðồng Minh Hội - Liga für die Unabhängigkeit Vietnams) gegründet, um die Unabhängigkeit Vietnams herzustellen und zu sichern. Sie bestanden aus nationalistischen und kommunistischen Gruppen. Mit Erstarken der Achsenmächte (das Deutsche Reich, Italien und Japan) geriet Vietnam in die Einflußsphäre Japans, was die Kolonialmacht Frankreich weiter schwächte.
(Wikipedia 01/2024)
Folgen des Zweiten Weltkriegs
1945 konnte die Việt Minh in der Augustrevolution im Norden des Landes die Demokratische Republik Vietnam als souveränen Staat kommunistischer Prägung etablieren. Nach dem Atombombenabwurf in Hiroshima und Nagasaki und der Kapitulation Japans, erstarkte der Einfluß Frankreichs in Vietnam wieder, insbesondere aufgrund der umfangreichen amerikanischen Unterstützung (nur Geld und Waffen). Aber die Kolonialmacht stand unter enormem militärischen Druck, denn der Việt Minh, insbesondere General und Guerillakämpfer Võ Nguyên Giáp (1911 - 2013), hatten im Zuge ihres Widerstands gegen die japanische Besatzung von chinesischen Militärs gelernt, die ungewöhnlichen Strategien und Taktiken von Mao Zedong einzusetzen, die jener aus dem Buch Sūnzǐ Bīngfǎ (孫子兵法, Sūnzǐ über die Kriegskunst) von Sūnzǐ (孙子, Meister Sun) aus dem 5. Jahrhundert vor Christus übernommen hatte.
Erster oder Französischer Indochinakrieg
Es kam wie es kommen mußte zum französischen Indochinakrieg gegen die vietnamesische Unabhängigkeitsbewegung Việt Minh an dessen Ende Frankreich scheiterte und 1954 nach der katastrophalen Niederlage in der berühmten Schlacht bei Điện Biên Phủ aus Indochina abziehen musste. Auf der Genfer Indochinakonferenz 1954, an der Frankreich, der Việt Minh, das Vereinigte Königreich, die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten und die Volksrepublik China teilnahmen, wurde das Genfer Abkommen unterzeichnet. Danach zogen sich die kommunistischen Việt Minh von Hồ Chí Minh vereinbarungsgemäß in den Norden des heutigen Vietnam hinter den 17. Breitengrad zurück und überließen den Süden dem unter westlichem Einfluss stehenden Kaiser Bảo Đại. Frankreich räumte vereinbarungsgemäß ganz Indochina. Laos und Kambodscha erhielten ihre staatliche Unabhängigkeit. In Vietnam kam es faktisch zu einem Waffenstillstand. Und für Juli 1956 wurden freie Wahlen in ganz Vietnam vereinbart, die von Kanada als Vertreter der NATO, von Polen als Vertreter des Ostblocks und von Indien als blockfreiem Staat überwacht werden sollten.
Unabhängigkeit
Im Norden Vietnams kam es zu einigen blutigen Säuberungsaktionen, und eine Landreform wurde zu brutal durchgesetzt, was zu Unruhen führte. Auch im Süden herrschte viel Chaos und Anarchie. Nach der gewaltsamen Abschaffung der Monarchie regierte in Saigon der von den USA gestützte und sehr autokratische Ngô Đình Diệm die Republik Südvietnam. 80% seines Staatshaushalts wurden von den USA finanziert. Als 1956 die vereinbarten Wahlen anstanden, wurden sie von ihm verweigert, weil der von ihm regierte Süden das Abkommen von Genf nicht unterzeichnet hätte. In Wahrheit zogen die Vereinigten Staaten im Hintergrund alle Fäden und unternahmen alles, um die Wahlen zu verhindern, da sie befürchteten, daß im Falle einer freien Wahl die vor allem auf dem Land sehr beliebten Kommunisten den Sieg davon tragen könnten. Außerdem brauchte die amerikanische Industrie dringend mal wieder einen lukrativen Krieg.
In Südvietnam wuchs insbesondere auf dem Land die Unzufrieden mit der Regierung und so wurde 1960 die Mặt trận Dân tộc Giải phóng Miền Nam Việt Nam ("Nationale Front für die Befreiung Südvietnams" oder "National Liberation Front of South Vietnam") gegründet. Diese "Nationale Befreiungsfront" wurde vereinfachend auch Việt cộng genannt. Wobei Việt cộng eine Kurzform der Bezeichnungen Việt Nam Cộng-sản ("Vietnamesischer Kommunist") darstellt. Der Việt cộng war eine südvietnamesische Guerillaorganisation, die während des Vietnamkrieges im Süden den bewaffneten Widerstand gegen die Regierung und die sie unterstützenden Streitkräfte der Vereinigten Staaten führte. Sie war heterogen aus religiösen, ethnischen und politischen Gruppierungen zusammengesetzt, wurde jedoch durch die Kommunistische Partei dominiert. Ihre Akzeptanz bei der unzufriedenen Bevölkerung wuchs schnell.
Zweite Indochinakrieg oder Amerikanischer Vietnamkrieg
1963 wurde der zunehmend diktatorisch herrschende Diem bei einem Militärputsch getötet, den der amerikanischen Geheimdienst CIA zumindest unterstützte. Danach wechselten sich verschiedene Militärjuntas an der Macht ab. Nach wachsenden Spannungen zwischen dem Norden und dem Süden nahmen die USA 1964 einen fingierten Zwischenfall im Golf von Tonking zum Anlass, gegen Nordvietnam in den amerikanischen Vietnamkrieg zu ziehen, der erneut das gesamte Gebiet Indochinas erfasste.
Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen waren 1968 etwa 550.000 US-Soldaten in Vietnam stationiert und kämpften an der Seite der südvietnamesischen Armee gegen den südvietnamesischen Việt cộng und die nordvietnamesischen Việt Minh.
Ein wichtiger Wendepunkt
Jedes Jahr im Frühjahr wird in ganz Asien das traditionalle Neujahrsfest nach dem lunaren Kalender gefeiert. In Vietnam heißt es Tết Nguyên Đán oder kurz Tết und fällt auf den ersten Tag des Jahres im Mondkalender. Es ist der wichtigste vietnamesische Feiertag und wird als großes viertägiges nationales Fest gefeiert. Vietnamesen besuchen zu Tết ihre Familie und die Tempel, es werden eigene Festspeisen zubereitet. Tết markiert gleichzeitig den Frühlingsbeginn. Am Vorabend des Festes werden die Wohnungen und Häuser sorgfältig gereinigt und mit Blumen oder Gaben für die Vorfahren geschmückt. Um Mitternacht brennen viele Familien Feuerwerkskörper ab. Am nächsten Morgen beginnen die eigentlichen Feiern zum Tết. Der erste Tag des mehrtägigen Neujahrsfestes wird in der Familie verbracht, die Straßen in großen Städten sind meist menschenleer. Kinder haben neue Kleider angezogen und entbieten den Älteren den Neujahrsgruß. An den folgenden Tagen besuchen die Vietnamesen Verwandte, Freunde und örtliche buddhistische Tempel, um Geld zu spenden oder sich die Zukunft weissagen zu lassen. Es gibt öffentliche Tanzaufführungen.
Im Jahr 1968 wurde der traditionelle Festfrieden jedoch jäh unterbrochen, als Việt cộng und Việt Minh in ganz Südvietnam zum geballten Militärschlag ausholten - sorgfältig getarnt und von langer Hand vorbereitet. Ihre Strategie war einfach: Wenn in ganz Vietnam das Tết-Fest gefeiert wird und dementsprechend auch die Waffen schweigen, genau dann wollte man den amerikanischen Besatzern und ihren südvietnamesischen Handlangern eine böse Überraschung bereiten. Und das in allen wichtigen Städten und US-Militärstützpunkten Südvietnams gleichzeitig.
Allein die Vorbereitungen dieser Großoffensive waren eine logistische Meisterleistung. In aller Heimlichkeit schickte Nordvietnam Zehntausende getarnter Soldaten in die ausgewählten Orte, während auf den unterschiedlichsten Wegen tonnenweise Kriegsgerät und Waffen in den Südteil des Landes verfrachtet wurden. Die große Hoffnung der Unabhängigkeitskämpfer aus dem Norden mit ihrem Präsident Hồ Chí Minh und dem militärischen Oberbefehlshaber General Võ Nguyên Giáp war, wenn die Landsleute im Süden die bahnbrechenden Erfolge dieser landesweiten Offensive sähen, dann würden sie sich endlich von den verhassten Amerikanern lossagen, und die lang ersehnte Wiedervereinigung würde in greifbare Nähe rücken.
Bei der Tết-Offensive verlor der Việt cộng im Frühjahr 1968 mehr als 50.000 Mann, was etwa der Hälfte seiner Kämpfer entsprach, und konnte dennoch keinen militärischen Durchbruch verbuchen, sondern erlitt stattdessen eine katastrophale militärische Niederlage. Auch die Opfer unter der Zivilbevölkerung waren groß. Es läßt sich darüber streiten, ob die Offensive als Ganzes auch ein Mißerfolg war. Militärisch sicherlich, aber propagandistisch und auf politischer Ebene jedoch nicht. Guerillataktiken lassen sich eben nicht mit militärischen Indikatoren und Kennzahlen - oh je dieses überaus verhasste Wort - beschreiben. Da gelten andere Kriterien und Mechanismen.
Für amerikanische Beobachter war es ein Schock, dass trotz der Präsenz von über einer halben Million amerikanischer Soldaten der Angreifer zu einer solch groß angelegten Operation fähig war. Die US-Armeeführung war davon ausgegangen, dass die Stärke und Moral der gegnerischen Truppen seit Monaten im Sinken begriffen sei, und hatte dies auch öffentlich verbreitet. Verstört sahen amerikanische Fernsehzuschauer daher die umkämpfte amerikanische Botschaft und amerikanische Truppen auf dem Rückzug. Die offene Hinrichtung des Vietcong-Kämpfers Nguyễn Văn Lém per Kopfschuss durch den südvietnamesischen General Nguyễn Ngọc Loan vor laufender NBC-Kamera und das Pressefoto von Eddie Adams gingen als erschütternde Bilder rund um die Welt und sähten Zweifel an der Gerechtigkeit des amerikanischen Vorhabens.
Nun drangen vermehrt Informationen und Bilder über Gräueltaten in die Welt, die der breiten Öffentlichkeit vor Augen führten, daß in Vietnam gar nichts nach Plan lief, daß der Krieg keineswegs geordnet ablief und, daß Militärs und Politiker systematisch gelogen und betrogen haben. Ich verweise hier unter anderem auf eine ganz berühmte Rede von Martin Luther King in der Riverside-Kirche in New York am 4. April 1967. Jedenfalls veränderte die Tết-Offensive die Wahrnehmung vieler Amerikaner und der Weltöffentlichkeit und deren Einstellung gegenüber diesem Krieg.
Das Ende des Krieges
Bis Mitte 1972 versuchten die Amerikaner und Südvietnamesen durch großräumige Flächenbombardements in Nordvietnam den Sieg zu erringen, allerdings erfolglos. Die veränderte Wahrnehmung des Krieges in der weltweiten Öffentlichkeit führte schließlich dazu, daß Verhandlungen geführt wurden. Am 7. November 1972 stand für US-Präsident Richard Nixon die Wiederwahl an, und die Mehrheit der Wähler war kriegsmüde. Also unterzeichneten die USA zähneknirschend Ende Oktober 1972 den ausgearbeiteten Waffenstillstandsvertrag. Nach seiner Wiederwahl allerdings änderte Nixon seine Meinung, und stellte neue Forderungen.
Nachdem ein inszenierter Vorfall hochstilisiert wurde, wurden im Rahmen der Operation Linebreaker II ab dem 18.12.1972 die Bombardierungen von Nordvietnam wieder aufgenommen. In den wenigen Tagen bis zum Ende des Jahres 1972 flogen die US-Militärs circa 500 Einsätze über Hanoi mit bis zu 140 B-52 Langstreckenbombern. Bei deren berüchtigten Flächenbombardements von Hanoi und den Deichsystemen der Hafenstadt Haiphong wurden 50.000 Tonnen Bomben abgeworfen. Allein in Hanoi starben 4.000 Menschen. Doch dank der Raketen sowjetischer Bauart und ihrer nordvietnamesischen Bedienungsmannschaften gelang es 33 dieser riesigen Langstreckenmaschinen mit je acht Triebwerken abzuschießen und vom Himmel zu holen. Nachdem es an immer mehr Stellen der amerikanischen Streitkräfte, Luftwaffe und Marine zu Desertationen, Sabbotagen und Befehlsverweigerungen gekommen war, mussten am 15. Januar die Angriffe schließlich eingestellt werden.
Am 22. Januar musste der US-Chefunterhändler Henry Kissinger mit Politbüro-Mitglied Lê Đức Thọ der Paraphierung der Pariser Abkommen zustimmen, die am 27. Januar von den vier beteiligten Seiten unterzeichnet wurden. Es handelte sich mit geringfügigen Änderungen um das Abkommen, dem Nixon vor seiner Wahl zugestimmt, es dann aber wieder abgelehnt hatte. Am 2. März wurde das Abkommen durch eine Internationale Vietnamkonferenz gebilligt, an der neben den drei vietnamesischen Seiten die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sowie Ungarn, Polen, Kanada und Indonesien teilnahmen.
Anders als die Franzosen 1954 hielten sich die USA nur teilweise an das Abkommen, das eine Teilung des Landes in Nord- und Südvietnam vorsah, und versuchten weiterhin intensiv Einfluß auf die Südvietnamesen zu nehmen. Damit verspielten die USA jede Möglichkeit im asiatischen Raum ihr Gesicht zu wahren. Dafür erhielten sie im Frühjahr 1975 die Quittung durch eine letzte große Offensive der Nordvietnamesen, die mit der Einnahme Saigons und Umbenennung in Ho-Chi-Minh-Stadt endete. Nach dem Fall von Saigon wurden Nord- und Südvietnam am 2. Juli 1976 unter dem Namen Sozialistische Republik Vietnam endgültig wiedervereinigt. Damit war die ultimative Niederlage für die Amerikaner besiegelt.